Ein Radfahrer wird zu eng von einem Autofahrer überholt.

Zu eng überholt: Alltag für Radfahrende © ADFC / Ulf Dietze

ADFC München: Sicherer Überholabstand erforderlich für die Verkehrswende

Seit gut zwei Jahren misst und protokolliert der ADFC München mit sogenannten OpenBikeSensoren den Überholabstand von Autofahrenden zu Radfahrenden im Münchner Straßenverkehr. Der Seitenabstand von 1,5 Metern wird in vielen Fällen unterschritten.

Die Auswertung von rund 5500 Überholvorgängen stellte der Fahrrad-Club am Donnerstag, 25.5.2023, dem Polizeipräsidium München und dem Mobilitätsreferat der Landeshauptstadt München vor. Die Ergebnisse zeigen, dass der Seitenabstand von 1,5 Metern in vielen Fällen unterschritten wird.

Radfahrende kennen das Problem: Kfz-Lenker:innen überholen häufig mit geringem Abstand. Das fühlt sich für Radfahrer:innen gefährlich an und führt nicht selten dazu, dass die Radler:innen zu nah an rechts parkenden Autos vorbeifahren und so plötzlich geöffneten Autotüren nicht ausweichen können, die sogenannten Dooring-Unfälle. Oder Radfahrende meiden bestimmte Strecken aus diesem Grund ganz oder steigen gar auf andere Verkehrsmittel um. Auch im ADFC Fahrradklima-Test beklagen rund 80 Prozent der Teilnehmenden häufige Konflikte mit Autofahrenden und das als unangenehm empfundene Fahren im Kfz-Verkehr.

OpenBikeSensoren messen Abstände bei Überholvorgängen
Mit dem am Fahrrad befestigten OpenBikeSensor hat der ADFC München nun erstmals Daten zu Überholvorgängen in der Landeshauptstadt erhoben. Der OpenBikeSensor zeichnet die GPS-Daten des Radfahrenden und den Seitenabstand nach links und rechts auf. Per Knopfdruck werden Überholvorgänge markiert. 18 dieser Geräte hatte der Fahrrad-Club von Februar 2021 bis Mai 2023 im Einsatz. Rund 5500 Überholvorgänge wurden dabei aufgezeichnet – auf einer Strecke von rund 8900 Kilometern in und um München. Dabei sind sowohl Strecken im Mischverkehr mit Kfz, als auch Abschnitte durch Parks oder auf Radverkehrsinfrastruktur eingerechnet, um die alltäglichen Erfahrungen von Radfahrenden möglichst genau in den Daten zu repräsentieren.

Ergebnisse des Projekts
Alle 2,5 Kilometer werden Radfahrende mit weniger Seitenabstand als 1,5 Meter überholt. 63 Prozent der überholenden Kraftfahrzeuge waren näher an den Fahrrädern dran als 1,5 Meter. Bei knapp 10 Prozent lag der Abstand sogar unter 75 Zentimeter und das vorbeifahrende Fahrzeug wäre mit dem ausgestreckten Arm berührbar gewesen. Knapp 37 Prozent  der Kfz-Lenker:innen haben dagegen einen Abstand von mindestens 1,5 Metern eingehalten, ein solches Ereignis erlebten Radfahrende im Schnitt alle 4,2 km. Zudem zeigen die Daten, dass Radfahrer:innen nicht nur an einzelnen Stellen zu eng überholt werden, sondern überall im Stadtgebiet. Denn die gemessenen Abstände lassen sich anhand der GPS-Daten den Straßen zuordnen und statistisch aufbereiten. Hervorzuheben sind die schlechten Überholabstandswerte in der Georgenstraße (zwischen Nordend- und Arcisstraße), wo ein durchschnittlicher Überholabstand von 86 Zentimeter gemessen wurde. Lediglich ein Überholvorgang im Straßenabschnitt war mit 1,77 Meter regelkonform – jedoch nur, weil die radfahrende Person nah an parkenden Autos fuhr und sich damit der Dooring-Gefahr aussetzte. 

In der Schleißheimer Straße (beispielsweise zwischen Georgen- und Görrestraße) waren alle 14 aufgezeichneten Überholvorgänge näher als 1,39 Meter (durchschnittlich: 1,00 Meter). In der Maximilianstraße (zwischen Herzog-Rudolf-Straße und Wurzerstraße) waren 9 von 12 erfassten Überholvorgängen näher als 1,5 Meter. Auf Basis der Messergebnisse erstellt der ADFC München eine Liste mit knapp 70 problematischen Straßenabschnitten.

Gründe für geringen Seitenabstand
Johan Buchholz, Leiter des OpenBikeSensor-Projekts im ADFC München, sagt: „Viele Autofahrende kennen die gesetzliche Regelung zum Überholabstand nicht. Außerdem fällt es vielen Menschen schwer, die innerorts vorgeschriebenen 1,5 Meter Seitenabstand korrekt einzuschätzen. Um in zweispurigen Straßen korrekt zu überholen, müssen Autos im Normalfall vollständig auf die zweite Spur wechseln. Auch erleben wir Fälle, in denen Radfahrende beschimpft, angehupt oder sogar absichtlich zu eng überholt werden. Neben Prävention und Aufklärung sind daher systematische polizeiliche Kontrollen und eine sichere, bauliche Fahrradinfrastruktur notwendig."
Und er ergänzt: „Die Verkehrsinfrastruktur muss grundsätzlich – auch bei Baustellen – intuitiv verständlich sein und ausreichende Seiten- und Überholabstände begünstigen. Erst wenn Menschen sich sicher fühlen, steigen sie aufs Rad um. Dann kann die Verkehrswende klappen.“

Forderungen des ADFC München
Aus Sicht des ADFC München müssen wirksame Maßnahmen für ausreichende Seiten- und Überholabstände getroffen werden.

  • Klare Prozesse, um Probleme beim Seiten- und Überholabstand schnell und zufriedenstellend zu lösen sowie die Evaluation der Ergebnisse
  • Ausweitung von Präventionskampagnen zum Thema Überholabstand
  • Konsequente Kontrollen der seitlichen Überholabstände
  • Fehlerverzeihende Infrastruktur: Temporäre und dauerhafte Verkehrsanordnungen müssen intuitiv verständlich sein und ausreichende Seiten- und Überholabstände begünstigen
  • Überholabstand als Kriterium zur Priorisierung von Radentscheid-Maßnahmen nutzen
  • Sensibilisierung Abteilungen für temporäre & dauerhafte Verkehrsanordnungen
  • Qualitätssicherung und Überprüfung neuer verkehrsrechtlicher Anordnungen 
  • Zügige Überarbeitung und Umsetzung verkehrsrechtlicher Anordnungen in problematischen

Straßenabschnitten

ADFC München veröffentlicht Ergebnisse als offene Daten
Die Ergebnisse der Überholabstandsmessungen werden vom ADFC München aggregiert als offene Daten veröffentlicht, um weitere Auswertungen und Kombinationen mit weiteren Datenquellen durch Interessierte zu ermöglichen. Die Daten können hier abgerufen werden:

Hintergrundinformationen
Seit der Novelle der Straßenverkehrsordnung im April 2020 gilt innerorts ein Überholabstand von mindestens 1,5 Meter, bei radelnden Kindern oder per Rad transportierten Kindern sogar zwei Meter. Der Mindestüberholabstand außerorts beträgt ebenfalls zwei Meter.

Der OpenBikeSensor, der an der Sattelstütze oder am Gepäckträger montiert ist, zeichnet die GPS-Daten der Radfahrenden auf und misst den Seitenabstand nach links und rechts. Die gemessenen Daten werden anonymisiert in Heatmaps visualisiert und belegen objektiv und transparent, wo und wie häufig zu eng überholt wird. Sie machen Verbesserungspotenziale bei der Verkehrsinfrastruktur sichtbar und zeigen Kommunen, Ordnungsbehörden und der Polizei, wo Handlungsbedarf besteht.

Die Sensoren sind bislang in keinem Geschäft erhältlich. Sie müssen selbst zusammengebaut werden; die Anleitung ist für jedermann als Open Source auf der Website openbikesensor.org verfügbar. Der OpenBikeSensor ist ein Open Innovation, Open Source, Open Data und Open Science Projekt und wird ehrenamtlich von einer offenen Gruppe entwickelt. Mehr über die technischen Details und Hintergründe auf der projekteigenen Homepage.

https://muenchen.adfc.de/pressemitteilung/adfc-muenchen-sicherer-ueberholabstand-erforderlich-fuer-die-verkehrswende

Häufige Fragen von Alltagsfahrer*innen

  • Was macht der ADFC?

    Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) ist mit bundesweit mehr als 220.000 Mitgliedern, davon über 33.000 in Bayern und rund 9000 in München, die größte Interessenvertretung der Radfahrerinnen und Radfahrer in Deutschland und weltweit. Der ADFC will, dass Deutschland bis 2030 ein attraktives Fahrradland wird, das in allen Städten und Dörfern einladende Rahmenbedingungen zum Radfahren und Qualitätsradwege statt Holperstrecken bietet. Dafür hält der ADFC eine grundlegende Reform des Straßenverkehrsrechts für essenziell.

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  • Was bringt mir eine ADFC-Mitgliedschaft?

    Radfahren muss sicherer und komfortabler werden. Wir nehmen dafür – auch Dank Ihrer Mitgliedschaft – nicht nur Einfluß auf Bundestagsabgeordnete, sondern setzen uns auf Landes- und Kommunalebene für die Interessen von Radfahrern ein. Für Sie hat die ADFC Mitgliedskarte aber nicht nur den Vorteil, dass wir uns für einen sicheren und komfortablen Radverkehr einsetzen: Sie können egal, wo Sie mit Ihrem Fahrrad unterwegs sind, deutschlandweit auf die AFDC-Pannenhilfe zählen. Außerdem erhalten Sie mit unserem zweimonatlich erscheinenden ADFC-Magazin Information rund um alles, was Sie als Radfahrer politisch, technisch und im Alltag bewegt. Zählen können ADFC-Mitglieder außerdem auf besonders vorteilhafte Sonderkonditionen, die wir mit Mietrad- und Carsharing-Anbietern sowie Versicherern und Ökostrom-Anbietern ausgehandelt haben. Sie sind noch kein Mitglied?

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  • Was muss ich beachten, um mein Fahrrad verkehrssicher zu machen?

    Wie ein Fahrrad verkehrstauglich auszustatten ist, legt die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) fest. Vorgesehen sind darin zwei voneinander unabhängige Bremsen, die einen sicheren Halt ermöglichen. Für Aufmerksamkeit sorgen Radler*innen mit einer helltönenden Klingel, während zwei rutschfeste und festverschraubte Pedale nicht nur für den richtigen Antrieb sorgen. Je zwei nach vorn und hinten wirkende, gelbe Rückstrahler an den Pedalen stellen nämlich darüber hinaus sicher, dass Sie auch bei eintretender Dämmerung gut gesehen werden können. Ein rotes Rücklicht erhöht zusätzlich die Sichtbarkeit nach hinten und ein weißer Frontscheinwerfer trägt dazu bei, dass Radfahrende die vor sich liegende Strecke gut erkennen. Reflektoren oder wahlweise Reflektorstreifen an den Speichen sind ebenfalls vorgeschrieben. Hinzu kommen ein weißer Reflektor vorne und ein roter Großrückstrahler hinten, die laut StVZO zwingend vorgeschrieben sind.

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  • Worauf sollte ich als Radfahrer achten?

    Menschen, die Rad fahren oder zu Fuß gehen, gehören zu den ungeschützten Verkehrsteilnehmern. Sie haben keine Knautschzone – deshalb ist es umso wichtiger, sich umsichtig im Straßenverkehr zu verhalten. Dazu gehört es, selbstbewusst als Radfahrender im Straßenverkehr aufzutreten, aber gleichzeitig defensiv zu agieren, stets vorausschauend zu fahren und mit Fehlern von anderen Verkehrsteilnehmern zu rechnen.Passen Sie Ihre Fahrweise der entsprechenden Situation an und verhalten Sie sich vorhersehbar, in dem Sie beispielsweise Ihr Abbiegen durch Handzeichen ankündigen. Halten Sie Abstand von Lkw, Lieferwagen und Kommunalfahrzeugen. Aus bestimmten Winkeln können Fahrer nicht erkennen, ob sich seitlich neben dem Lkw Radfahrende befinden. Das kann bei Abbiegemanövern zu schrecklichen Unfällen führen. Beachten Sie immer die für alle Verkehrsteilnehmer gültigen Regeln – und seien Sie nicht als Geisterfahrer auf Straßen und Radwegen unterwegs.

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  • Was ist der Unterschied zwischen Pedelecs und E-Bikes?

    Das Angebot an Elektrofahrrädern teilt sich in unterschiedliche Kategorien auf: Es gibt Pedelecs, schnelle Pedelecs und E-Bikes. Pedelecs sind Fahrräder, die durch einen Elektromotor bis 25 km/h unterstützt werden, wenn der Fahrer in die Pedale tritt. Bei Geschwindigkeiten über 25 km/h regelt der Motor runter. Das schnelle Pedelec unterstützt Fahrende beim Treten bis zu einer Geschwindigkeit von 45 km/h. Damit gilt das S-Pedelec als Kleinkraftrad und für die Benutzung sind ein Versicherungskennzeichen, eine Betriebserlaubnis und eine Fahrerlaubnis der Klasse AM sowie das Tragen eines Helms vorgeschrieben. Ein E-Bike hingegen ist ein Elektro-Mofa, das Radfahrende bis 25 km/h unterstützt, auch wenn diese nicht in die Pedale treten. Für E-Bikes gibt es keine Helmpflicht, aber Versicherungskennzeichen, Betriebserlaubnis und mindestens ein Mofa-Führerschein sind notwendig. E-Bikes spielen am Markt keine große Rolle. Dennoch wird der Begriff E-Bike oft benutzt, obwohl eigentlich Pedelecs gemeint sind – rein rechtlich gibt es große Unterschiede zwischen Pedelecs und E-Bikes.

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  • Gibt es vom ADFC empfohlene Radtouren für meine Reiseplanung?

    Wir können die Frage eindeutig bejahen, wobei wir Ihnen die Auswahl dennoch nicht leicht machen: Der ADFC-Radurlaubsplaner „Deutschland per Rad entdecken“ stellt Ihnen mehr als 165 ausgewählte Radrouten in Deutschland vor. Zusätzlich vergibt der ADFC Sterne für Radrouten. Ähnlich wie bei Hotels sind bis zu fünf Sterne für eine ausgezeichnete Qualität möglich. Durch die Sterne erkennen Sie auf einen Blick mit welcher Güte Sie bei den ADFC-Qualitätsradrouten rechnen können.

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