Mit dem Rad zur Weltklimakonferenz
Der französische Fahrrad-Aktivist Guillaume will von Paris zur Weltklimakonferenz nach Baku in Aserbeidschan radeln.
Robert Burschik, ADFC-Ortsgruppensprecher aus Unterschleißheim, hat ihn im Biergarten zum Erfahrungsaustausch getroffen.
In Paris im Juni 2024 gestartet, plant die europäische Radsportgruppe, der Guillaume angehört, mit ihrem COP29 Bikeride 6.500 Kilometer durch Frankreich, Deutschland, Österreich, Slowenien, Kroatien, Serbien, Rumänien, Bulgarien, die Türkei und Georgien zurückzulegen, bevor sie Anfang November Baku in Aserbaidschan erreicht, die Gastgeberstadt der Weltklimakonferenz, COP29. Damit wollen sie die Lücke zwischen den Verpflichtungen der letzten COPs und dem Pariser Abkommen hervorheben und der COP29 zehn konkrete Vorschläge unterbreiten, wie das Radfahren als Mittel zur Reduzierung der globalen Kohlenstoffemissionen genutzt werden kann.
Die 10 Vorschläge von COP29 Bikeride
- Ausbau der speziellen Infrastruktur um 100 % bis 2030, insbesondere zwischen Städten UND multimodale Netzwerkkonnektivität für Pendelverkehr über mittlere Distanzen (als Ersatz für das Pendeln mit dem Auto)
- Der Anteil der zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegten Wege zur Arbeit und zur Schule soll bis 2030 durch Steueranreize, Förderung und Werbung um 150 % erhöht werden.
- Entwicklung spezieller Mehrjahrespläne (mit Investitionen!)
- Ausbau der exklusiven Fahrrad-/Gehbereiche um 100 % bis 2030 in der Nähe von Schulen, Knotenpunkten des öffentlichen Nahverkehrs, lokalen Geschäften und Grünflächen
- Entwicklung einer Lastenradlogistik für die Zustellung auf der „letzten Meile“
- Entwicklung einer Massen-Radsportveranstaltung pro Großstadt, um für dieses Verkehrsmittel zu werben
- Besser informieren: Schulungen in Schulen für besseres Radfahren; finanzielle Vorteile fördern (500 € vs. 5000 € pro Jahr für ein Auto!)
- Den damit verbundenen Wirtschaftssektor (Dienstleistungen, Fertigung) durch spezifische Anreize/Subventionen entwickeln
- Indikatoren (Zufriedenheit, Unfälle, Größe des dedizierten Netzwerks, % Verkehr) implementieren und sehr regelmäßig teilen
- Die Kapazität der Fahrradabstellplätze in Verkehrsknotenpunkten, Einkaufsvierteln, Schulen, Büros bis 2030 um 100 % erhöhen
Das Endziel: Dazu beitragen, dass „80 % der Fahrten zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden, um bis 2030 50 % weniger Verkehrsemissionen zu verursachen“
Robert Burschik trifft den französischen Radl-Aktivisten
Guillaume ist leider nach einem Radunfall am 3. Tag seiner Tour am Knöchel und an der Schulter verletzt. Er soll sich nach Aussage der Physiotherapeuten einfach etwas schonen. In der Folge läuft er sehr „unrund" und hat auf der Strecke Ulm - München zwei Ruhetage und die Fahrt mit dem Zug geplant.
Am Hauptbahnhof, den er mit ca. 20 Minuten Verspätung erreicht, ist er leicht am vollgepackten Fahrrad und dem Gang zu erkennen. Bevor wir zu seiner Schlafstelle in der Kazmairstraße 33 fahren, machen wir eine längere Pause im Wirtshaus am Bavaria-Park in der Nähe des Verkehrsmuseums im alten Messegelände auf der Schwanthaler Höh.
Guillaume arbeitet im Bereich der Künstlichen Intelligenz, hat 12 Mitarbeiter und kann während der ganzen Tour aus dem Tour-Office remote arbeiten. Seine Mission mit den 10 Vorschlägen ist keine offizielle Aktion zur COP29 in Baku. Daher will er mit NGOs wie Greenpeace zusammenarbeiten, um die Forderungen öffentlichkeitswirksam zu übergeben.
Wir genießen den Platz unter freiem Himmel und trinken je zwei Halbe Alkoholfrei von Augustiner, machen Fotos und das Interview, das Guillaume bei jeder seiner Stationen führt.
Die fünf Fragen an mich waren:
1. Was ist der wichtigste Vorschlag?
Meine Antwort: Vorschlag 1, weil eine sichere und komfortable Fahrrad-Infrastruktur extremen Einfluss auf die Fahradnutzung hat. Der beschlossene Altstadt-Radlring ist ein Zeichen für solche geplanten Verbesserungen. Es reicht nicht nur die schiere Zahl der Radweg-Kilometer zu erhöhen, auch die Qualität muss stimmen.
2. Worauf ist der ADFC München besonders stolz?
Meine Antwort: Auf den Radentscheid München und den Altstadt-Radlring als erste große Maßnahme, auf die Initiative zum Radentscheid Bayern
3. Was würdest du machen, wenn du ein Zauberer wärst?
Meine Antwort: Tempo 30 auf allen Strecken, die der Radverkehr gemeinsam mit dem motorisierten Verkehr nutzt
4. Welche Forderung fehlt?
Meine Antwort: Sicherheitsgefühl verbessern durch Aufklärung, Schulung und tatsächliche Vermeidung von Unfällen, egal ob durch andere Verkehrsteilnehmer (Vision Zero) oder Allein-Unfälle verursacht
5. Was würdest du noch für Vorschläge ergänzen?
Meine Antwort: Abstellanlagen müssen das sichere Ansperren der Fahrräder ermöglichen, sie müssen nah und leicht erreichbar sein sowohl an den Ziel- als auch an den Quellpunkten. Komfort und schnelle Benutzbarkeit des Fahrrades sind die Schlüssel zur Steigerung des Radverkehrsanteils.
Später fügte ich noch eine Beschreibung eines Radschnellweges mit den Kriterien für Geschwindigkeit, Winterdienst, Beleuchtung etc. hinzu. Besonders interessiert war Guillaume am Kriterium „Verlustzeiten/km" an Ampeln und Kreuzungen.
Ein Franzose im Biergarten
Im Verlauf des ca. zweistündigen Biergartenbesuchs konnte Guillaume ein wenig der speziellen Atmosphäre wahrnehmen. Zwei ältere „Ur-Bayern" passten während des Interviews an einer etwas stilleren Ecke des Biergartens auf unser Bier auf und die „offiziellen" Fotos schoss eine junge Frau vom Nachbartisch. Später konnte Guillaume mit dieser Firmen-Partie noch ein paar Worte Französisch wechseln. Zum guten Schluss hätte ich beinahe noch die Zeche geprellt - aber eben nur beinahe. Gegen 18:30 Uhr erreichten wir nach ein paar Minuten Fahrt das Übernachtungsquartier in der Kazmairstraße 33. Bei der herzlichen Verabschiedung bot Guillume die Nutzung seines Appartements in Paris an. Es sei mit einem Nummerncode gesichert, ich könnte es gerne nutzen, er sei ja jetzt bis November auf der Raise nach Baku – und auch sonst oft nicht in Paris.
Für mich endete ein sehr spannender Nachmittag mit inspirierenden Gesprächen, dem Kennenlernen eines interessanten Menschen und knapp 50 km für das Kilometer-Konto beim Stadtradeln des Landkreises München.